Auf einen Cafézinho in Brasilien
Eines wussten wir sicher – wir wussten nicht, worauf wir uns eingelassen haben, als wir unseren Flug nach Recife in Brasilien gebucht haben. Jeder kennt Rio und die Copacabana, aber was, wenn man eben da nicht hingeht? Brasilien ist riesengroß, es erstreckt sich über 47% der Fläche Südamerikas und hat mehr als 200 Millionen Einwohner, die hauptsächlich in den Ballungszentren wohnen. Unsere Reise hat uns nach Recife und Salvador im Nordosten Brasiliens und São Paulo geführt – und natürlich wollten wir wissen, wie es mit dem Kaffeetrinken in Brasilien aussieht, durch den Austausch mit den Kaffee-Liebhabern von Von Herrmanns ist unser Interesse für Kaffee, seine Herstellung und die Hintergründe immer weiter gewachsen. Auch wenn es keinen Von Herrmanns Kaffee hier gibt. Leider! Was es hingegen gibt, sind spektakuläre Skylines und viele wunderschöne Strände.
Kaffee war das erste Exportgut Brasiliens und der Kaffee hat heute noch eine ganz besondere Stellung inne. In vielen Vorgärten wachsen Kaffeepflanzen – nicht zum Ernten, sondern weil diese Pflanze und seine wertvollen Früchte einfach zum Leben der Brasilianer gehören. Allerdings muss der Kaffee gegen eine starke Konkurrenz bestehen – das ganze Jahr wachsen Früchte, die zu leckerem Saft gemixt und gesiebt werden. Frische Ananas, Cashewfrucht, Maracuja gefällig?
In São Paulo, wo uns unser Weg anschließend hingeführt hat, gibt es natürlich kein Meer, es liegt im Landesinneren. Allerdings leben hier ca. 22 Millionen Menschen und dem Kaffee kommt in dieser Gegend eine besondere Bedeutung zu. Um 1850 dehnte sich der Kaffeeanbau im Hochland von São Paulo immer mehr aus. Dies war den günstigen Klima- und Bodenbedingungen und natürlich auch steigender Kaufkraft in Europa geschuldet. Aber auch die Infrastruktur war ideal – gab es doch strahlenförmige Eisenbahnlinien in die Kaffeeanbaugebiete und hin zum nahen Exporthafen Santos. Das ging so lange gut, wie die Nachfrage auf hohem Niveau war und die Überproduktion keine Rolle spielte, nämlich bis zur Weltwirtschaftskrise 1929. Heute ist der Eisenbahnverkehr in Brasilien beinahe zum Erliegen gekommen, der größte Teil des Güterverkehrs findet auf der Straße statt. Allerdings sind wie durch ein Wunder einige wenige Eisenbahnlinien und natürlich auch Eisenbahnen erhalten geblieben. Zum Beispiel in Campinas, einer Universitätsstadt 100km nördlich von São Paulo mit mehr als einer Million Einwohnern.
Auch Campinas ist eine Stadt, die dem Kaffee viel zu verdanken hat. Sie wuchs im 19. Jahrhundert stetig – wegen des Vordringens des Kaffeeanbaus und der Eisenbahn in diese Region. Gegründet wurde Campinas von den Bandeirantes (im deutschen wohl so etwas wie „Fahnenträger“), die Mitglieder von Expeditionstrupps waren und seit dem 17. Jahrhundert das brasilianische Landesinnere auf der Suche nach Gold, Diamanten und Sklaven mit äußerst fragwürdigen Methoden erkundeten.
Hier gibt es Maria Fumaça (auf Deutsch heißt das „Maria Rauch“) zu bestaunen, eine historische Eisenbahn, deren Schienen an den ehemaligen Kaffeeplantagen entlangführen.
Tourismus in Brasilien erschöpft sich normalerweise darin, dass man von fliegenden Händlern Essen kaufen kann oder kleine Souvenirs (die zumeist aus China kommen und nur in seltenen Fällen selbst hergestellt werden) – keine Hinweisschilder, keine Infrastruktur und viele Gebäude sind in einem erbärmlichen Zustand. Hier bei Maria Fumaça ist das anders – die Fahrt mit dem Zug ist eine echte Show – mit live gespieltem Samba, von drei älteren Herren leidenschaftlich vorgetragen, einem Moderator, der echten Einsatz zeigt – und natürlich reichhaltiger Verpflegung unterwegs (siehe die unvermeidlichen fliegenden Händler…).
Wir sind an einem Sonntagvormittag dort, und viele andere Familien sind gekommen – und viele wippen im Takt, später im Zug wird sogar eine Mitfahrerin mit den Musikern eine kleine Einlage zum Besten geben. Es geht sehr lebhaft zu, die Laune aller ist hervorragend, manche summen bei der lauten Musik, die zu Beginn aus den Lautsprechern dröhnt, mit. Samba. Der Moderator hält ein leidenschaftliches Plädoyer für den Zugverkehr, nachvollziehbar in einem Land mit maroden Straßen, unglaublich langen Staus und einer für Europäer sehr gewöhnungsbedürftigen, temperamentvollen Fahrweise.
Nachdem uns der außergewöhnlich engagierte Moderator in die Geschichte und Funktion der Eisenbahnen in Campinas und Maria Fumaça im Besonderen eingeweiht hat, dürfen wir endlich einsteigen. Jeder hat eine Platzkarte bekommen, was für einige Verwirrung sorgt, denn eigentlich haben die Leute keine Lust, mühsam nach ihrem Platz zu suchen und setzen sich so in irgendeinem Wagen auf irgendeinen Platz. So verzögert sich die Abfahrt um eine halbe Stunde, was allerdings niemanden stört, die Laune ist weiter prächtig und die Vorfreude groß. Im Abteil sind tatsächlich historische Sitze – die sich in die entsprechende Fahrtrichtung umdrehen lassen, sodass man immer eine wunderbare Aussicht zu den Wiesen, Feldern und Farmhäusern hat. Heute findet hier kein Kaffee-Anbau mehr statt, stattdessen sieht man riesige Felder mit schwarzen Geiern und Nelore-Rindern, einer besonders widerstandsfähigen Rasse, die aus Indien importiert wurde und über einen großen Höcker verfügt, der auch auf dem Speiseplan der Brasilianer steht und eine echte Delikatesse sein soll. Außerdem sieht man immer wieder riesengroße Felder, die merkwürdig abgebrannt und verkohlt aussehen – tatsächlich ist das immer noch eine gängige Methode in Brasilien, um die Ernte zu erleichtern und um Unkraut, Ungeziefer und große Blattmengen zu entfernen. Außerdem wird diese Methode benutzt, um Straßen und Wege freizuhalten.
Natürlich kann man auch in diesem Zug einen Cafezinho trinken, der üblicherweise in Brasilien gefiltert wird. Es gibt auch Kaffees aus Vollautomaten, zumeist in den Padarias oder Bars, aber zuhause hat jede Familie einen Handfilter für die Kaffeezubereitung. Wir haben sogar einmal erlebt, wie der Filter auf eine Tasse aufgesetzt wurde – das in einem topmodischen Café voller Hipster, die es hier natürlich auch gibt.
Unser Ziel mit dem Zug ist eine kleine Stadt namens Jaguariúna, die uns ganz stilecht mit einem kleinen improvisierten Markt empfängt, auf dem man kleine Kunstwerke, leckere Säfte und Streetfood kaufen kann.
Brasilien ist einer der weltgrößten Kaffeeproduzenten, immerhin 34% des weltweit gehandelten Kaffees kommen hierher – und ebenso einer der größten Kaffeekonsumenten der Welt, ungefähr die Hälfte der Produktion trinken die Brasilianer selbst. Dabei muss der Kaffee am liebsten stark, kräftig und schwarz sein, daher trinkt man den cafézinho („Kaffeechen“) in einer kleinen Tasse – ähnlich groß wie hier die Espressotassen. Zum Frühstück, nach dem Mittagessen, eigentlich ist immer Zeit und Gelegenheit für einen cafézinho. Da wir Gringos aus Europa kommen, wurden wir gefragt, ob wir einen „cafézinho americano“ wollten oder einen normalen. Der Unterschied ist schnell erklärt: Brasilianer trinken ihren Kaffee ziemlich stark, wem das zuviel ist, der bekommt einen mit Wasser verdünnten Kaffee. Da fiel uns die Wahl nicht schwer – in diesem Fall wollten wir nicht wie Gringos behandelt werden…
Der größte Teil der angebauten Kaffeebohnen in Brasilien sind Arabicabohnen mit 80% und 20% Robustabohnen. Die Größe der Farmen, die Kaffee anbauen variiert stark, vom kleinen Familienbetrieb bis hin zur industrialisierten Großfarm gibt es hier alles. Mit all den bekannten Nachteilen wie hohem Pestizideinsatz und schlechten Arbeitsbedingungen. Da ist es besonders wichtig, als Kaffeeröster genau darauf zu achten – denn auch in Brasilien gibt es tolle Projekte, in denen Mensch und Natur pfleglich behandelt werden. Und aus denen Bohnen in hervorragender Qualität kommen.
Maria Fumaça war nicht nur äußerst unterhaltsam, sondern tatsächlich auch lehrreich: wie schön – und Samba war zum Glück auch dabei!
Inzwischen sind wir wieder hier – und trinken weiterhin sehr gerne einen cafézinho.
Eure Christiane von Von Herrmanns